Das Netzwerk mit zwei Panels auf dem Deutschen Orientalistentag 2022 in Berlin

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Das Netzwerk „Philosophie der islamischen Welt der Moderne“ war mit zwei organisierten Panels auf dem Deutschen Orientalistentag (DOT) 2022, der vom 12. bis zum 17. September 2022 an der Freien Universität Berlin stattfand, vertreten. Die Philosophie war am DOT insgesamt in einer eigenen Sektion organisiert, sie bot, unter der Leitung von Prof. Peter Adamson, neben einer Reihe von meist gut besuchten Einzelvorträgen zu aktuellen Forschungsprojekten zur Philosophie in der islamischen Welt, einer Keynote von Prof. Nadja Germann mit dem Titel „Quo vadis Philosophie in der islamischen Welt?“ und einer öffentlichen Präsentation der 2021 erschienen Bände der Reihe „Grundriss der Geschichte der Philosophie. Philosophie in der islamischen Welt“ (hg. Ulrich Rudolph) auch von aktuellen Forschungsinitiativen organisierte thematische Panels.

Darunter auch das von Roman Seidel und Kata Moser organisierte Panel Philosophie in der islamischen Welt der Moderne. Auslotung eines Forschungsfeldes. Ziel des Panels war es, Perspektiven und Fragehorizonte des Netzwerks zu diskutieren und einige Initiativen und Projekte seiner Mitlieder vorzustellen. Der Beitrag von Roman Seidel Asymmetrien überwinden. Philosophie in der islamischen Welt der Moderne im akademischen Feld diskutierte einige methodologische und strukturelle Hindernisse, die für das noch junge Forschungsfeld im Spannungsverhältnis zwischen etablierten Disziplinen zugleich als Chancen und als Hindernisse in Erscheinung treten. Zudem diskutierte er, inwiefern derlei epistemische Asymmetrien auf unterschiedlichen Ebenen (in Traditions-, Begriffs- und Diskurskontexten) Hindernisse darstellen, und präsentierte mit Blick auf dessen Hauptthemenfelder (Philosophiegeschichte, Theoretische Philosophie, Philosophie des Politischen und Transfer in den Bildungskontext) einige Initiativen und Fragestellungen des Netzwerks. Kata Mosers Beitrag Von Philosophiebegriffen und deren Implikationen thematisierte die Verortung des Forschungsfeldes im Kontext philosophischer Metadiskurse über Konzepte von Philosophie, fragte nach der Positionalität von Philosophie zwischen Konzepten des Globalen und Regionalen und diskutierte die Aufgabe der epistemischen Dekolonisierung des Denkens als wichtigen Zugang des Netzwerkes in der Forschung und Interaktion mit Philosoph:innen der islamischen Welt der Moderne. Carool Kerstens geplanter Vortrag „McCutcheon’s Taxonomy and the Study of Philosophy in the Contemporary Muslim World“ musste leider ausfallen. Nils Riecken ging in seinem Vortrag Philosophie, islamische Tradition und das moderne Politische: Politik der Historizität und Dekolonisierung von der Hypothese aus, dass das Politische als eine Zone grundlegenden Konflikts für arabisches philosophisches Denken in der Epoche des Kolonialismus und der Dekolonisierung elementar ist. Dabei diskutierte er, ausgehend von den Überlegungen Abdallah Larouis Kritik des Absoluten und der Idee des „konkret Universellen“, wie als säkular und religiös identifizierte Konzeptionen des Politischen durch unterschiedliche Formen von Historizität in der kontingenten Verbindung von Vergangenheiten, Gegenwarten, Zukünften grundiert werden. Aus diesem Blickwinkel problematisierte er zugleich die wissenschaftsimmanente Codierung von veraltet und neu als eine bestimmte Historizität und Grundierung des Politischen, die zu einem verengten Blick auf nicht-westliche Philosophien führt. Abschließend diskutierte Erdmann Görg in seinem Vortrag Islamische Philosophie im Philosophieunterricht – Ein Desiderat der Philosophiedidaktik Defizit, Bedarf und Perspektiven der Vermittlung von Philosophie der islamischen Welt im Schulunterricht, indem er u.a. anhand des Beispiels der Didaktisierung eines Gottesbeweises Avicennas demonstrierte, wie islamische Philosophen in den Philosophieunterricht integriert werden kann und dadurch in der Lage ist, den Philosophiekanon zu erweitern.

Im Rahmen der Sektion Islamwissenschaft fand das von Kata Moser und Nils Riecken organisierte Panel Revisiting Arab Formations of the Secular and Secularism satt. Die Beiträge dieses Panels plädierten für eine Neubewertung arabischer Erscheinungs- und Entstehungsformen des Säkularen und Säkularismus. Dabei zielten die Vorträge darauf ab diese Formen des Säkularen weder als Ergebnis westlicher Einflüsse zu lesen, noch die historischen Unterschiede zwischen dem Islam und der westlichen Moderne zu verwischen, indem man Säkularität als universell zu definieren oder von einem singulären arabisch-islamischen Säkularismus auszugehen versucht. Stattdessen betrachteten sie die arabischen Konzepte des Säkularismus/der Säkularität/des Säkularen in ihren komplexen Verflechtungen mit der westlichen Moderne, den (Nach-)Wirkungen des kolonialen Erbes und der intellektuellen Traditionen der arabisch-islamischen Ideengeschichte. In seinem Vortrag Temporality, critique, and decolonisation in the works of ʿAllāl al-Fāsī analysierte Nils Riecken den Begriff der Kritik in den Werken des marokkanischen antikolonialen Nationalisten und Gelehrten des islamischen Rechts ʿAllāl al-Fāsī (1910-1974) mit besonderem Augenmerk auf seine „Selbstkritik“ (Al-naqd al-ḏātī), die erstmals 1952 in Kairo veröffentlicht wurde. Dabei argumentierte er, dass al-Fāsīs Begriff der Kritik nicht nur „apologetisch“ ist, sondern dass er als „ein Akteur und Theoretiker der Dekolonisierung“ (Shakry 2015) betrachtet werden kann, indem er sich kritisch mit den Auswirkungen säkularer westlicher Macht und kolonialer Herrschaft auf seine Lebenswelt und die diskursive Tradition des Islam auseinandersetzt. Dadurch stellte er heraus wie al-Fāsīs Werk mehrere Narrative, wie den arabischen Nationalismus, die Nahḍa und die Salafiyya, miteinander verbinden kann, die meist getrennt behandelt werden. In ihrem Vortrag Secularism and modernization in a multi-confessional context: the example of Syria fragte Lorella Ventura, inwiefern das Verhältnis von säkularen und religiösen Prinzipien der syrischen Verfassung das Ergebnis der komplexen Berücksichtigung des multikonfessionellen Kontextes und eines besonderen Gleichgewichts zwischen einem säkularen, modernen und sich modernisierenden Staat einerseits und der Ablehnung der Marginalisierung der Rolle der Religion andererseits gesehen werden kann. In ihrem Vortrag Secularism re- and deconstructed in the dialogue between ʿAzīz al-ʿAẓma und ʿAbd al-Wahhāb al-Masīrī skizzierte Kata Moser die Positionen von al-ʿAẓma, der Säkularismus als eine historische Tatsache in ihrer Gegenwart in der arabischen Welt untersucht, und al-Masīrī, der sich um einen adäquaten Säkularismusbegriff und zugleich die Zähmung des Phänomens des Säkularismus bemüht. Beide Positionen schließen diejenige des anderen jeweils kategorisch aus, weshalb ein Dialog (ḥiwār), wie er in der gemeinsamen Publikation der beiden Denker angelegt ist, komplett scheitert. Diese Spaltung ist paradigmatisch für den arabischen Säkularismusdiskurs und zieht sich nicht nur durch die Positionen arabischer Intellektueller, sondern findet sich in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur repliziert. Dies wirft die Frage auf, inwiefern die Forschung hier einen neutralen Forschungsstandpunkt einnehmen kann.

Am Rande des Deutschen Orientalistentages fand zudem auch ein internes Treffen der Netzwerkmitglieder statt, auf dem die Agenda des kommenden akademischen Jahres sowie Strategien zur Weiterentwicklung des Forschungsfeldes diskutiert wurden.